Ein Tröpfchen in Ehren: moderater Alkoholkonsum ist nicht generell schädlich

Forschungen und Empfehlungen zu bewusstseinsverändernden Substanzen führen gelegentlich in die Irre. Die aktuelle Ausgabe der Fachzeitschrift RAUSCH stellt Beispiele vor und erspart den LeserInnen keine Wechselwirkungen.
Die WHO verkündet ex cathedra: „Beim Alkoholkonsum gibt es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge.“ Also: Jeder Tropfen sei schädlich, nur strikte Abstinenz gesundheitsförderlich. Professor Dr. Alfred Uhl (Wien) widerspricht in RAUSCH: Zahlreiche Studien zu gesundheitlichen Folgen belegen andere Effekte; Personen mit moderatem Alkoholkonsum schneiden im Durchschnitt optimal ab – besser als Abstinente und besser als Trinker. Einige ForscherInnen leiten daraus ab, dass moderater Konsum für die Gesundheit vorteilhaft sei.
„KritikerInnen dieser Interpretation erheben allerdings – durchaus zu Recht – methodische Einwände. Insbesondere der Effekt umgekehrter Kausalität ist hier zu beachten: Gesunde, sozial integrierte Menschen konsumieren Alkohol durchschnittlich eher moderat, während Personen mit gesundheitlichen, psychischen oder sozialen Problemen entweder verstärkt abstinent leben oder exzessiv konsumieren. Der beobachtete Zusammenhang könnte also weniger eine Wirkung des Alkoholkonsums selbst widerspiegeln als eine Folge vorbestehender Unterschiede zwischen den Konsumgruppen sein. Alkoholkonsum wäre dann nicht nur Ursache, sondern zugleich auch Folge bestimmter gesundheitlicher Dispositionen.
Realistischerweise ist von einem solchen bidirektionalen Kausalzusammenhang auszugehen – über dessen Richtung und Ausmaß auf Basis der vorliegenden empirischen Evidenz keine eindeutigen Aussagen möglich sind. Um belastbar beurteilen zu können, ob moderater Alkoholkonsum tatsächlich gesundheitsförderlich oder schädlich ist, wären langfristige randomisierte Kontrollstudien erforderlich. …
Gegenwärtig lässt sich mit hoher Sicherheit lediglich sagen, dass moderater Alkoholkonsum bei gesunden Menschen nur geringe Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Ob diese Effekte leicht negativ, neutral oder leicht positiv sind, muss offen bleiben. Die WHO-Mitteilung bildet diese Unsicherheit nicht ab – und ist daher als einseitig dramatisierende Darstellung kritisch zu hinterfragen.
Die Empfehlung, hohen Alkoholkonsum konsequent zu vermeiden, ist gut begründet – sie rechtfertigt jedoch nicht, jede Form des Konsums als schädlich darzustellen“, stellt Alfred Uhl klar.

rausch – Wiener Zeitschrift für Suchttherapie 2025-1-2
Suchtforschung im Wandel der Zeit:
Was heute wahr ist, gilt morgen nicht mehr…
Ausgabe zum 70. Geburtstag von Alfred Uhl
Martin Poltrum