Alkoholismus: von Schriftstellern erlebt, literarisch beschrieben

Beflügelt ein guter Tropfen schriftstellerische Kreativität? Für Gerhart Hauptmann waren zwei Flaschen Wein normale Tagesration. Thomas Mann hielt jedoch nichts von hochprozentiger Inspiration. Hugo Graf Keyserlingk beschreibt in seiner Monografie Liebe Leben Alkohol – Suchtkrankheiten im Spiegel deutscher Literatur.
Thomas Mann original: „Dass mehrere große Dichter Potatoren gewesen sind, beweist nichts… Ich trinke täglich zum Abendbrot ein Glas helles Bier und reagiere auf diese anderthalb Quart so stark, dass sie regelmäßig meine Verfassung durchaus verändern. Sie verschaffen mir Ruhe, Abspannung und Lehnstuhlbehagen – eine Stimmung von ´Oh, wie wohl ist mir am Abend!´ Ein Zustand, aufs innigste zu wünschen, ein Zustand, der gelegentlich vielleicht sogar auch einen brauchbaren Einfall mit sich führt, aber ein Zustand, der dem der Arbeit, des Kampfes, des Bezwingens genau entgegengesetzt ist …“
Als Psychiater bewundert Graf Keyserlingk, wie präzise Thomas Mann und andere Literaten das Verhalten und die Gemütszustände von Alkoholikern beschrieben haben. Hans Fallada konnte auf eigene Erfahrungen zurückgreifen: „Irgendetwas ist in mir nie ganz fertig geworden.“ Der Autor des Bestsellers ´Kleiner Mann was nun?` verarbeitete seine Erlebnisse mit Alkohol, Nikotin, Morphium, Kokain und Arbeitssucht. In der Sozialanamnese Falladas findet Keyserlingk typische Hintergründe einer Suchtentwicklung: eine extrem strenge Schulzeit nach preußischer Art, einschneidende psychische Verletzungen …
Der Romancier Emile Zola beschrieb Abhängige in Destillen und Elendsvierteln im aufkommenden industriellen Kapitalismus Frankreichs: unaufhörliche, immer scheiternde Versuche, das Leben in bitterer Armut mit irgendeinem Stoff irgendwie erträglich zu machen. „Wie bei all seinen Romanen bereitete sich Emile Zola akribisch vor. Er studierte die Fachliteratur, sammelte Zeitungsartikel, benutzte Lexika und suchte die Stätten auf, an denen seine Werke spielen sollten.“ Damit liefert Zola eine sozialkritische Authentizität.
Graf Keyserlingk schildert u.a. die Pathographien von Christian Dietrich Grabbe, Fritz Reuter und anderen Autoren, begegnet hinter dem Suchtverhalten immer wieder dysfunktionalen Familiengeschichten und bietet damit eindrucksvolle Informationen zur Abhängigkeitsentwicklung …

Liebe Leben Alkohol – Suchtkrankheiten im Spiegel deutscher Literatur
von Keyserlingk, Hugo
Pabst, 364 Seiten